RFG Deep Dive
von Luca-Sofie Raißle
Luca-Sofie ist 23 Jahre alt und hat im Sommer ihren Bachelorabschluss in European Studies an der Universität Maastricht erworben. Im Verlauf ihres Studiums konnte sie ihr Interesse an Themen wie Gerechtigkeit und Globalisierung gezielt vertiefen. Ihre fachlichen Schwerpunkte umfassen die (wirtschaftliche) Entwicklungszusammenarbeit und eine kritische Auseinandersetzung mit humanitärer Hilfe – ein Thema, das sie auch in ihrer Bachelorarbeit untersucht hat. Besonders fasziniert ist sie vom internationalen System, insbesondere von den Strukturen und Entscheidungsprozessen der Vereinten Nationen, und davon, wie wirtschaftliche Zusammenhänge die internationalen Beziehungen und Entscheidungsprozesse prägen.
Seit der Industrialisierung prägen asymmetrische Machtverhältnisse zwischen Industrie- und weniger entwickelten Ländern die globalen Strukturen. Diese Ungleichgewichte resultieren häufig in Abhängigkeitsverhältnissen, die dem globalen Süden – oftmals die Folge kolonialer Ausbeutung und wirtschaftlicher Marginalisierung – besonders zum Verhängnis werden. Während es auch Argumente dafür gibt, dass es wechselseitige Abhängigkeiten gibt und auch der globale Norden auf Ressourcen und Märkte des Südens angewiesen ist (vgl. Celia Parbey), bleibt das strukturelle Gefälle bestehen: Postkoloniale Verflechtungen sorgen dafür, dass der Süden trotz seiner Ressourcen oft in untergeordneten Positionen verharrt und weiterhin ökonomische, politische und soziale Nachteile erfährt. Während die Industriestaaten im globalen Norden durch Kapitalismus und Globalisierung erheblich profitieren, stehen viele Länder des globalen Südens weiterhin vor großen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Unter der Prämisse, diesen Ungleichheiten zu begegnen, entstand nach dem Zweiten Weltkrieg die Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Diese war jedoch lange (und ist noch immer) von westlichen, neoliberalen Ideen geprägt, basierend auf freien Märkten und individueller Verantwortung. Diese Ansätze beeinflussten auch die Verteilung von finanzieller Entwicklungszusammenarbeit (FZ), häufig geleitet von geopolitischen Interessen (Sagoe 2020). Auch heute noch ist Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit nicht frei von eurozentrischen Werten (siehe Blogpost "Fast Forward Feminism") und wird für geostrategische Zwecke mobilisiert.
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Die Entwicklung der EZ, insbesondere ihrer Kritik
Die Kritik an den sogenannten "Top-Down"-Ansätzen in den vergangenen Jahren ist erheblich. Der Gedanke, Werte und Ideen, die nicht zu lokalen Gegebenheiten bzw. Erfahrungen passen, von oben herab und von eigenen Interessen motiviert zu vergeben, erscheint absurd. Daher ist es notwendig, diejenigen, die die EZ erhalten und umsetzen, stärker einzubeziehen und ihre fachliche Expertise zu nutzen. Durch die lauten Stimmen, welche die Ungerechtigkeiten der EZ hervorheben, entstehen stets neue Ideen, darunter unter anderem Strategien wie Mikrokredite und Mikrofinanzierung, die auf Lokalisierung [1] und Eigenverantwortung setzen sollen, um zu einer Verbesserung des EZ-Systems zu führen. Die von Muhammad Yunus entwickelte und mit der Grameen Bank realisierte Idee der Mikrokredite scheint auf den ersten Blick vielversprechend: Kleinstkredite sollen es den Menschen ermöglichen, durch die Gründung kleiner, eigener Unternehmen Armut (SDG 1) [2] zu überwinden. Doch die Frage bleibt: Können Mikrokredite wirklich Armut bekämpfen, oder führen sie in eine Schuldenfalle und verstärken neoliberale Prinzipien, die die strukturellen Ursachen von Armut ignorieren ?
Im Folgenden wird der Zusammenhang zwischen Neoliberalismus und Entwicklungspolitik betrachtet. Dabei dienen Mikrokredite als Beispiel dafür, wie neoliberale Ansätze den globalen Süden beeinflussen. Dies geschieht, indem die Verantwortung für die Überwindung der Armut auf den/die Einzelne*n übertragen wird, ohne die Möglichkeit von Wissensdefiziten zu berücksichtigen, die zu wirtschaftlichem Fehlverhalten und damit in eine Schuldenfalle führen können. Aufgrund der geographischen Lage, der ausgeprägten Mikrofinanzinfrastruktur sowie der teilweise hochentwickelten städtischen Regionen (Agarwal et al. 2018), steht Ruanda als Fallbeispiel für diese Diskussion zur Verfügung. Besonders die ländlichen Gebiete stehen im Fokus, da diese wirtschaftlich und sozial hinter dem urbanen Raum, wie der Hauptstadt Kigali, zurückliegen. In Ruanda gelten laut den Vereinten Nationen 42% der Bevölkerung als arm (vereinte Nationen).
Neoliberale Einflüsse und/oder durch Mikrokredite?
Die Idee der Mikrokreditvergabe von Muhammad Yunus hat im Zuge des wachsenden Bewusstseins für die Asymmetrie in der Entwicklungszusammenarbeit an Bedeutung gewonnen. Yunus erkannte, dass bereits Kleinstbeträge (oft nur wenige Dollar) in den sogenannten Schwellenländern ausreichen können, um insbesondere Frauen die Möglichkeit zu geben, kleine Unternehmen zu gründen und Armut entgegenzuwirken. So sollten - durch einen eigenen Beitrag zum Haushaltseinkommen - wirtschaftliche Selbstbestimmung und Empowerment ermöglicht werden. Seine Vision, dass „[jede*r] [ein*e] [Unternehmer*in] ist“ (Yunus 2012), verbreitete sich unmittelbar und fand weltweit Zuspruch.
Die Idee der Mikrokredite gewann schnell internationales Interesse. Besonders in den 1980er Jahren, während der Hochphase des Neoliberalismus (Langen 2021), wurde sie von Politiker*innen wie Hillary Clinton und philanthropischen Organisationen wie der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt (Cordeiro 2020). Mikrokredite wurden als innovativer Weg gefeiert, um den Ärmsten die Möglichkeit zu geben, durch kleine, selbstständige Unternehmen der Armut zu entkommen.
Die Grundidee der Mikrokredite passt gut zur neoliberalen Denkweise, die auf individueller Verantwortung und freien Märkten basiert. Gutes zu tun in und durch Selbstverantwortung spiegelt die Philosophie des Washington Consensus wider – eine Reihe von wirtschaftspolitischen Richtlinien, wie Privatisierungen und Handelsöffnung, die den Marktliberalismus förderten (Feyder 2015). Der in den 1980er Jahren entstandene Washington Consensus, hat die Entwicklungszusammenarbeit in den 1990er und frühen 2000er Jahren maßgeblich in Bezug auf die oben erwähnten Richtlinien, wie Privatisierung, beeinflusst. Dieser Ansatz versprach wirtschaftliches Wachstum, indem die Rolle des Staates zurückgedrängt und die Eigenverantwortung der Bürger*innen in den Mittelpunkt gestellt wurde. Mikrokredite schienen genau dieser Logik zu folgen: Die Ärmsten sollen sich selbst aus der Armut befreien, was gleichzeitig hohe Gewinne für die Kreditgeber*innen, meist internationale Finanzinstitutionen, versprach (Feyder 2015).
Es gibt verschiedene Arten von Mikrokrediten, die entweder an Einzelpersonen vergeben oder als Gruppenkredite bereitgestellt werden. Die Grundidee hinter Mikrokrediten, wie sie von Muhammad Yunus entwickelt wurde, beruht auf der Beobachtung, dass bereits ein kleiner Betrag – etwa 27 US-Dollar – ausreichen kann, um einer Person zu helfen, durch die Gründung eines eigenen kleinen Unternehmens aus der Armut auszubrechen. Yunus versprach sich, „das Ende der Armut innerhalb einer Generation“ erreichen zu können (Yunus 2008).
Einzelkredite werden an individuelle Unternehmer*innen vergeben, die alleine für die Rückzahlung verantwortlich sind. Diese Kredite eignen sich vor allem für Personen, die bereits eine gewisse wirtschaftliche Stabilität oder einen klaren Geschäftsplan haben. Obwohl Einzelkredite mehr Autonomie bieten, stellen sie oft höhere Anforderungen an Sicherheiten oder die Fähigkeit zur Rückzahlung.
Gruppenkredite, wie sie im Modell der Grameen Bank populär wurden, basieren auf dem Prinzip der kollektiven Verantwortung. Dabei schließen sich mehrere Kreditnehmer*innen zu einer Gruppe zusammen, die gemeinsam für die Rückzahlung des gesamten Kredits verantwortlich sind. Dadurch entsteht eine Mitverantwortung innerhalb der Gruppe, der sicherstellt, dass die Rückzahlung pünktlich erfolgt. Dieses System wurde zur Best Practice in vielen ländlichen Gemeinschaften, in denen formelle Sicherheiten oft nicht verfügbar sind, aber der soziale Zusammenhalt stark ist (Armendáriz & Morduch 2006, Giné & Karlan 2014).
Probleme und Risiken von Mikrokrediten
Doch obwohl Mikrokredite auf den ersten Blick vielversprechend erscheinen, hat sich gezeigt, dass sie auch problematische Seiten haben. Während die ursprüngliche Idee auf sozialer Unterstützung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit beruhte, wurde der Mikrokreditsektor zunehmend von gewinnorientierten Akteur*innen übernommen. Große Unternehmen und Investmentfonds entdeckten den Mikrofinanzmarkt als lukratives Geschäftsfeld: Sie erkannten, dass in vielen „Entwicklungsländern“ so neue Märkte erschlossen werden können, die ihnen hohe Renditen versprechen – ein klassisches Beispiel für neoliberale Marktöffnung (Bateman 2010).
Ein entscheidender Wendepunkt war die Erkenntnis, dass Mikrokredite in vielen Fällen nicht wie erhofft zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit führen, sondern die Kreditnehmerinnen oft in eine Schuldenfalle treiben. Kleinunternehmer*innen, die nicht in der Lage sind, ihre Kredite zurückzuzahlen, müssen häufig neue Kredite aufnehmen, um die alten zu bedienen. Dies führt zu einer Spirale aus Schulden und Abhängigkeit. Die Mikrofinanzinstitutionen profitieren hierbei von den hohen Zinsen und Gebühren, die oft in Kreditverträgen verankert sind (Bateman 2010).
Der Mikrokreditsektor wird oft als ultimative Freiheit verkauft – eine Möglichkeit für die Ärmsten, sich unabhängig von staatlicher Hilfeleistung zu machen. Doch in der Realität zeigt sich, dass die neoliberale Ideologie, die hinter diesem Konzept steht, strukturelle Probleme der Armut oft nicht adressiert. Armut ist ein komplexes, systemisches Problem, das durch individuelle Kredite allein nicht gelöst werden kann. Die Idee, dass jede*r durch eigenverantwortliches Handeln den Armutskreislauf durchbrechen kann, ignoriert größere wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten zwischen den Industriestaaten und Ländern mit niedrigem/mittleren Einkommen, sowie den Mangel an strukturellen Reformen in den Industriestaaten z.B. politisches Umdenken, Geber-Position aus neokolonialen Denkmustern entfernen (Ulrike Hermann 2022, Fabio de Masi 2023).
In seiner Studie „When Finance Meets Big Data: Financial Technology and the Scramble for Africa“ zeigt Fabio de Masi, wie der Mikrofinanzmarkt in Afrika zunehmend von westlichen Unternehmen als profitabler Finanzmarkt entdeckt wird (2023). Unter dem Deckmantel der Armutsbekämpfung erschließen sich diese Unternehmen neue Märkte und nutzen dabei Technologien, um Kreditvergaben und Finanztransaktionen zu automatisieren und zu skalieren. Während dies auf den ersten Blick als Fortschritt erscheint, stellt sich die Frage, ob es tatsächlich den lokalen Gemeinschaften zugutekommt oder nicht vielmehr die Gewinne in die Hände internationaler Investoren lenkt.
Die Gleichstellung der Geschlechter (SDG 5) ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort. Mikrokredite werden vorrangig an Frauen vergeben (Cepeda et Al. 2017). Diese bedingte Vergabe von Mikrokrediten führt offensichtlich dazu, dass mehr Frauen Kredite aufnehmen; dies ist als positive Entwicklung in Zahlen festgehalten. Es gibt allerdings auch Berichte über einen direkten Zusammenhang durch die Vergabe von Mikrokrediten an Frauen sowie geschlechtsspezifischer Gewalt (GBV). Dies liegt daran, dass es nur Frauen möglich ist, Zugang zu Krediten zu erhalten, und dass Männer sich über ihre Frauen, Schwestern und Töchter Zugang zu dem Geld verschaffen, teilweise mit Gewalt (Cepeda et Al. 2017). Hieran zeigt sich, dass die Konditionalität der Kreditvergabe an der Oberfläche ein Problem löst, in der Tiefe aber zu mehr Gewalt und Problemen führen kann.
Mikrokredite in Ruanda: Wirtschaftliches Wachstum und Herausforderungen
Obgleich Ruanda eine der höchsten Wirtschaftswachstumsraten in Afrika verzeichnet, gehört es weiterhin zu den ärmsten Ländern des Kontinents. Dieses Paradox verdeutlicht eine Schwäche der BIP-Messung als Indikator für gesellschaftlichen Wohlstand, da sie keine Aussage über soziale Ungleichheit, Armut oder Lebensqualität trifft (vgl. Jason Hickel und Ulrike Herrmann). Auch Ruanda ist von der globalen Mikrofinanzierungswelle erfasst worden. Allein das Portfolio einer einzigen Stiftung in Ruanda beträgt rund 2 Millionen Euro und vergibt an etwa 10.000 Menschen Mikrokredite zwischen 50 und 1.000 USD (Rooyen et Al. 2012, VisionFund Rwanda).
Der Mikrofinanzsektor entwickelte sich ab 1975, wuchs aber vor allem nach dem Genozid 1994 rapide an, da internationale Hilfsgelder und staatliche Zuschüsse in diesen Bereich flossen, um den Wiederaufbau zu fördern. Diese unregulierte Expansion führte jedoch zu Instabilitäten. 1995 begann die Regierung, den Sektor zu reformieren. Trotzdem brachen 2006 neun Mikrofinanzinstitutionen zusammen, wodurch viele Menschen ihre Ersparnisse verloren. In Reaktion darauf führte die Regierung eine nationale Mikrofinanzpolitik ein und erließ 2008 ein Gesetz (Law No. 40/2008), das die Nationalbank von Ruanda als Aufsichtsbehörde festlegte. Bis 2016 schrumpfte die Anzahl der Mikrofinanzinstitutionen, zum Teil durch die Umstrukturierung von SACCOs (Genossenschaftsbanken) (AFR).
Wie bereits zu Beginn erwähnt, verfügen Ruandas Großstädte, insbesondere die Hauptstadt Kigali, über eine gut entwickelte Infrastruktur sowie ein umfassendes Verkehrsnetz (Hudani 2024). Dennoch manifestiert sich in den ländlichen Gebieten des Landes ein signifikanter Entwicklungsrückstand, der zu einer deutlichen Spaltung des Landes in diesem Bereich führt. Obschon die staatliche Regulierung der Mikrokreditvergabe etwas mehr Struktur und Transparenz bietet, beispielsweise durch ein Kreditregister, bleibt die Vergabe von Mikrokrediten weiterhin unterfinanziert. Die unzureichende Finanzierung lässt sich an der schrumpfenden Anzahl von Mikrofinanzinstituten ablesen, welche den Zugang zu Krediten erschweren und damit offenlegen, dass die Hauptmotivation der Kreditvergabe wirtschaftliche Erfolge sind. Dies lässt den Schluss zu, dass die Institutionen sonst wohl besser (auch durch internationale Geber) subventioniert würden.
Es ist jedoch positiv zu sehen, dass das stärkere Engagement der ruandischen Regierung dazu führen könnte, dass Kredite mehr auf lokale Bedürfnisse ausgerichtet werden und so die Idee der Lokalisierung verwirklicht wird. Die Gewährleistung der Lokalisierung erfolgt in diesem Kontext durch die Nutzung eigenen, lokalen Wissens in der Verwaltung. Dies unterscheidet sich von der Vorgabe des lokalen Kontexts durch internationale Geber*innen, welche über das nötige Wissen nicht verfügen. Hier wird eine wichtige Grauzone deutlich: Aufgrund der entstehenden individuellen Verantwortung kann (und sollte auch) Kritik - denn postkoloniale Verpflichtungen sind nicht die Aufgabe von Einzelpersonen. Diesbezüglich ist insbesondere zu berücksichtigen, dass unzureichende Kenntnisse im Bereich der finanziellen Allgemeinbildung mit einem erhöhten Risiko der Verschuldung einhergehen. Lokale Maßnahmen sind also als positiv zu bewerten. Dennoch besteht in Anbetracht der vom ruandischen Präsidenten Paul Kagame proklamierten Wachstumsstrategie noch ein erheblicher Verbesserungsbedarf. Bislang profitieren lediglich die großen Städte von dieser Strategie (Hudani 2024).
Des Weiteren birgt das ideologische Rollenverständnis das Risiko, dass die konditionale Vergabe von Mikrokrediten für ruandische Frauen mit Gefahren verbunden ist. Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt (SGBV) stellt in Ruanda ein signifikantes Problem dar. Nuwabaine et al. haben in ihrer Studie festgestellt, dass von der befragten Gruppe ruandischer Frauen im reproduktiven Alter 48 % in einem von Männern geführten Haushalt weniger von SGBV betroffen sind ( 2023). Die Entwicklung, dass SGBV rückläufig ist, impliziert jedoch nur eine vordergründige Sicherheit, da hier traditionelle Rollenbilder verstärkt werden, wie etwa die Rolle des Mannes als Haupternährer der Familie. Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn Frauen am Haushaltseinkommen beteiligt sind oder gar die Rolle der Hauptverdienerin einnehmen? Daher sind deutlich bessere und auf die lokalen Gegebenheiten sensibilisierte Ansätze erforderlich. Die Vergabe von Krediten wird als Empowerment nicht ausreichen und zeigt eher rückläufige Trends auf (Karim & Law, 2016).
Die Statistik des Minecofin, des ruandischen Finanz- und ökonomischen Planungsministeriums zeigt, dass sich in 2023 die Schulden privater Kreditnehmer*innen erhöht haben (Minecofin 2023). In Ruanda ist die Gefahr der Schuldenfalle durch Mikrokredite präsent und stellt eine Problematik im gesamten Konzept der Mikrokredite dar, denn das Ziel, ökonomische Unabhängigkeit zu erreichen, wird genauso verfehlt wie die des „female empowerments“.
Rolle Deutschlands in der EZ
Deutschland nimmt mit seiner Entwicklungspolitik als einer der größten Kooperationspartner eine herausragende Stellung in Ruanda ein. In Bezug auf die Vergabe von Mikrokrediten hat die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau), die deutsche Entwicklungsbank, gemeinsam mit der ruandischen Regierung ein entsprechendes Projekt initiiert. Das EGCF-Vorhaben (Export Credit Guarantee Facility, auf Deutsch: Fazilität für Exportkreditgarantien) verfolgt das Ziel, die Schaffung von Arbeitsplätzen in wachsenden und exportorientierten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in Ruanda, einschließlich von Frauen geführten Unternehmen, zu fördern (Minecofin 2023). Die genaue Rolle Deutschlands bei ruandischen Mikrokreditvergaben lässt sich nicht eindeutig bestimmen, da ein Großteil des Marktes im privaten Sektor stattfindet. Dennoch gibt es eine Vielzahl deutscher NROs (Nichtregierungsorganisationen), die die Vergabe von Mikrokrediten nach Ruanda als ihre Aufgabe betrachten und dabei auch von der deutschen Regierung unterstützt werden.
Mikrokredite – ein zweischneidiges Schwert
Was als sozial orientierte Innovation durch Muhammad Yunus begann, hat sich zunehmend zu einem Werkzeug entwickelt, das Profit über Menschen stellt. Damit verstärken Mikrokredite in vielen Fällen die Ungleichheiten, die sie eigentlich bekämpfen sollten (Cepeda et Al. 2017, De Masi 2023). Wirtschaftliche Interessen der Industrienationen, die neoliberale Ausrichtung und die Verlagerung der Verantwortung für Armut auf die Einzelnen gehören zu den zentralen Kritikpunkten. Hinzu kommen Risiken wie eine Zunahme geschlechtsspezifischer Gewalt und die Gefahr, dass Kreditnehmer*innen schnell in eine Schuldenfalle geraten. Diese negativen Auswirkungen lassen Zweifel aufkommen, ob Mikrokredite eine nachhaltige Lösung gegen Armut sein können.
In Bezugnahme auf die aktuelle Praxis der Mikrokreditvergabe, wie sie beispielsweise in Ruanda erfolgt, lässt sich festhalten, dass die vergebenen Kredite den an die Kreditvergabe gestellten Anforderungen nicht gerecht werden. Die Vergabe von Mikrokrediten hat weder zu einer Reduktion von Armut insgesamt noch zu einem "Female Empowerment" geführt. Im Gegenteil, es ergeben sich sogar eher rückwärts gerichtete Tendenzen durch die Mikrokredite. Eine Generalisierung, die die gesamte Mikrokreditvergabe als funktionstüchtig darstellt, wäre jedoch nicht angemessen. Vielmehr sollten die in diesem Artikel aufgeführten Problematiken adressiert werden.
Anhand dieses Artikels möchte ich zuletzt Vorschläge präsentieren, wie die Mikrokreditlandschaft verbessert werden könnte. Empfehlenswert wäre die Förderung von Finanzbildung für Personen, die Mikrokredite aufnehmen, um das Risiko einer nicht erfolgenden Rückzahlung zu minimieren. Des Weiteren kann die lokale Wertschöpfungskette durch die Bildung von Kooperativen sowie die Unterstützung bei der Formalisierung von Unternehmen gestärkt werden. Eine technische Betreuung von Staaten im Globalen Süden könnte dazu beitragen, legale und wirtschaftliche Strukturen zu stärken, wodurch Klein- und Kleinstunternehmen bessere Chancen auf erfolgreiche Mikrokredite hätten. In Bezug auf SGBV ist eine Arbeit an Genderstrukturen von besonderer Wichtigkeit. Dabei sollten Mikrokredite nicht als Instrument für Genderempowerment genutzt werden, da dies lediglich positive statistische Ergebnisse erzeugen würde. Stattdessen ist zu identifizieren, welche Hindernisse für Frauen existieren, um nachhaltig in ein Unternehmen zu investieren und von diesem zu profitieren.
Fußnoten:
[1] Das Konzept der Lokalisierung, wie es im Grand Bargain des World Humanitarian Summit festgeschrieben wurde, beinhaltet das Empowerment lokaler Entitäten, die Einbeziehung lokalen Wissens über Traditionen, urbane Umwelt und Lebensweisen. Zentral ist zudem die Übertragung von Verantwortung auf die lokale Ebene, weg von den Geber*innen Ländern.
[2] SDG 1 “keine Armut”: Definiert als Überleben mit weniger als 2,15 US-Dollar pro Person und Tag (Kaufkraftparität 2017).
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